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Warum ich
nicht mehr in einem "Stotter-Verein" organisiert bin? |
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Michael Winkler,
Dresden, Oktober 2007
Einleitung
Es gibt mehrere Gründe sich
einem Verein für stotternde Menschen anzuschließen. Die einen suchen
Gleichgesinnte, zum Gedanken- und Informationsaustausch. Andere sind
Eltern stotternder Kinder und/oder auch selbst Betroffene und versuchen
deshalb ihrem Leiden und das ihrer Kinder (die Frage, ob die Kinder es
ebenso als Leiden empfinden, bleibt dabei zunächst offen), Gehör zu
verschaffen.
Es ist sehr richtig,
dass das Stottern zu einer sehr schwer zu vermittelnden Beeinträchtigung
des Lebens gehört. Von den schätzungsweise 820.000 stotternden Menschen
in Deutschland (Statistiken gehen von einem Prozent aus), sind nicht
einmal 1400 in einem Verein, konkret der
Bundesvereinigung
Stotterer-Selbsthilfe e.V. (kurz
BVSS) organisiert,
wobei davon rund ein Viertel LogopädInnen sind. Die Selbsthilfegruppen
(SGH) stotternder Menschen, welche in den ehemals Alten Bundesländern ab
Ende der 1970er Jahre entstanden, haben am Beginn des 3. Jahrtausends
einen schweren Stand. Viele zerfallen bereits kurz nach der Entstehung
wieder, andere werden seit Jahren von den selben Leuten besucht. |
Einleitung
Was ist Heilung vom Stottern?
Ist Heilung überhaupt möglich?
Selbsthilfegruppe -
Fluch oder Segen?
Verein - Fluch oder Segen
Netzwerke stotternder Menschen
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Warum sind so wenige Stotternde organisiert, weniger als 0,2%? Geben viele Menschen ihr Stottern einfach ungern zu oder kommen sie
selbst damit sehr gut zurecht? Warum haben SHG mitunter eine so kurze Halbwertszeit oder bestehen seit
Jahren aus mehr oder minder den selben Personen? Warum ist die Selbsthilfebewegung stotternder Menschen in den neuen
Bundesländern (außer in Berlin) kaum existent?
All dies sind kritische
Fragen, welche in der Selbsthilfebewegung stotternder meines Erachtens
gar nicht bis sehr sehr selten berührt werden. Dabei soll nicht über die
Erfolge der Selbsthilfebewegung hinweggetäuscht werden.
Selbsthilfebewegungen ganz gleich welcher Art können ein wichtiger
Bestandteil einer Therapieergänzung sein und durchaus zu einem
leichteren Umgang bspw. mit dem Stottern beitragen.
Ich habe in den
letzten 10 Jahren mehrere Phasen in der Selbsthilfebewegung stotternder
Menschen durchlaufen, nicht nur als Mensch, dessen Stottern sich dabei
verändert, sondern auch aus verschiedenen Positionen (welche
unterschiedliche Blickwinkel ermöglichten) heraus. Die folgende Graphik
versucht einerseits, das "Geheimnis des Stotterns" etwas zu lüften und
andererseits oben stehende Fragen zum Teil zu beantworten.
Was ist Heilung vom Stottern? Ist Heilung überhaupt möglich?
Ja, es gibt eine Heilung vom Stottern, nur kommt es auf die
eigene Definition des Stotterns und des Wortes "Heilung" an. Für
die einen heißt "Heilung" völlige Symptomfreiheit, für andere
Angstfreiheit. Da ich persönlich im Stotterns nichts prinzipiell
Negatives sehe, strebe ich auch nicht primär eine
Symptomfreiheit an. Wenn sie automatisch mit entsteht, umso
besser. Wenn nicht, hat das auch seine Gründe.
Nicht wenige stotternde Menschen akzeptieren ihr Stottern nicht
und machen es sich dadurch erst schwer, ihr Stottern zu
bearbeiten. "Heilung" ist für mich persönlich eine sehr stark
mit der eigenen Akzeptanz verbundenen Sache. Je größer die
Akzeptanz für mich und mein Stottern, desto größer ist auch die
Heilung. Verleugne ich mein Stottern dagegen, werden meine
Probleme diesbezüglich verstärkt.
Den Übergang (siehe auch Graphik recht) stellt im Prinzip die
"Akzeptanz" dar. Symbolisch kann die Phase 1, die Nicht- bzw.
geringe Akzeptanz des eigenen Stotterns, mit einem Zustand im
Wasser beschrieben werden. Wer sich nicht akzeptieren kann, wird
das Stottern als Last empfinden, welches einen immer wieder
"runter zu ziehen" scheint. Das Stottern spielt im Leben des
Einzelnen eine herausragende Rolle. Der Mensch mit all seinen
Fähigkeiten geht dabei sprichwörtlich unter, das Stottern lebt
unser Leben. In der Phase 2 steigen wir auf wir ein Ballon.
Unseren inneren Fähigkeiten mehr und mehr bewusst werden, wird
das Stottern zu einer Sache unter vielen. Es bestimmt unser
Leben immer weniger. |
Diese und andere Folien sind dem
Vortrag
"Stottern - Problem oder Herausforderung? ...
Gedanken über die Rolle stotternder Menschen in der
Gesellschaft"
zu entnehmen. |
Die eigene Akzeptanz
und das Eingestehen, dass das Stottern ein Problem im
persönlichen Leben darstellt, ist eine Herausforderung, der sich
nicht alle vom Stottern betroffenen Menschen stellen. Daher sind
auch kaum 1% in einer SHG oder in einem Verein organisiert.
Allerdings würde man es sich wohl zu einfach machen, wenn man
dies als die einzige Ursache ansehen würde. Vereine und
Selbsthilfegruppen bringen gewisse Strukturen mit sich und die
sind es, welche nicht selten Interessenten
"abschrecken".
Selbsthilfegruppe - Fluch oder Segen?
Eine SHG kann einen guten Treffpunkt für
Menschen mit selben Problemlagen darstellen. Mensch fühlt sich nicht
allein mit seinem Problem, erfährt Neues über Therapien und
Hintergrundwissen etc. Es gibt jedoch nicht nur einen erheblichen
Nachteil einer Selbsthilfegruppe und das insbesondere bei psychischen
"Behinderungen". Auch eine Ehe ist eine SHG im erweiterten Sinne, zwei
Menschen mit ähnlichen Ideen und Interessen, helfen sich selbst und
gegenseitig, um ein angenehmeres Leben zu führen. Wie viele vielleicht
schon selbst erfahren haben, kann z.B. eine Ehe auch ein Käfig werden,
nämlich wenn beide Partner nicht aufeinander eingehen können oder sich
beide unterschiedlich entwickeln. Das Leben ist so vielfältig und
erfordert geistige Flexibilität, so dass eine sich regelmäßig treffende SHG meist gar nicht möglich ist. Zudem ist der Bedarf der einzelnen
Mitglieder auch meist sehr unterschiedlich, einige fühlen sich unter-,
andere überfordert. Zudem wird nicht selten der Faktor Angst - m.E. die
Hauptursache für den problembehafteten Umgang mit dem Stottern - außer
acht gelassen. Aus dem Kooperationsseil zwischen Stotternden, die ihr
Stottern schon sehr stark akzeptiert haben und damit umzugehen gelernt
haben und jenen, die diesen Weg noch vor sich haben, wird u.U. ein
Fallstrick. Während das Stottern für einige das Problem
schlechthin ist, ist es für andere nur eines unter vielen.
Missverständnisse sind da nicht selten vorprogrammiert. Die
unterschiedlichen Niveaus erklären auch die kurze Halbwertszeit mancher
SHGs, wird es uninteressant gehen einige einfach wieder. Ob sie sich
selbst ungenügend in die SHG eingebracht haben oder mit ihren Bemühungen
"zu häufig" gescheitert sind, ist eine individuell zu beantwortende
Frage.
Des weiteren
habe ich in den letzten 5 Jahren den Eindruck gewonnen, dass sich in
SHGs nicht selten Menschen befinden, die an ihrem Problem innerlich und
unbewusst sehr stark festhalten. Das Stottern (in diesem Fall) sucht
sich dann seine Wege und wirkt sich möglicherweise auch auf die anderen
GruppenteilnehmerInnen aus, die von der "Gefährlichkeit" einer SHG meist
überhaupt keine Vorstellung haben. Etwas, was jahrelang als die
Therapieergänzung gefeiert wurde, plötzlich eine Gefahr? Um es konkret
praktisch einmal zu erläutern. Eine SHG trifft sich regelmäßig aller 14
Tage zu gemeinsamen Gesprächen und zum Gedankenaustausch. Für einige
spielt das Stottern vielleicht genau an diesem Tag fast überhaupt keine
Rolle - aus welchen Gründen auch immer. Andere wollen jedoch sehr viel
gemeinsam üben und/oder spezielle Techniken ausprobieren. Aus
gruppendynamischen Gründen wird eine der beiden Gruppen Dinge tun, wozu
sie eigentlich überhaupt keine Lust hat. Es scheint auch nicht notwendig
zu sein. Bleibt man auf Dauer der Gruppe fern, entstehen nicht selten
unausgesprochene Vorwürfe à la "Der oder die kommt auch nicht mehr."
Statt sich zu freuen, dass das Stottern für einen Menschen weniger
wichtig geworden ist, entsteht so der "Vorwurf", dass er oder sie
unzuverlässig geworden sei oder "es wohl nicht mehr nötig hätte zu
kommen". Auch jene Personen, die eine SHG aus "kollegialen Gründen"
regelmäßig besuchen, leben nicht nach ihrer Fasson, sondern spielen das
Spiel mit, welche letztlich aus subtilen Ängsten besteht. Und genau
diese Ängste sind es auch, welche das Stottern zu einem Problem machen
können. Im Grunde genommen kann es durchaus sein, dass die Zugehörigkeit
zu einer SHG das Stottern manifestiert statt abbaut, wenn mensch die
gruppendynamischen Mechanismen nicht beachtet bzw. nicht wahrnimmt.
Verein - Fluch oder Segen?
Fasst man mehrere SHGs unter einem Dach zusammen, entsteht meist ein
Verein oder eine Vereinigung, wie z.B. die
Bundesvereinigung
Stotterer-Selbsthilfe e.V..
Wo es Vereine gibt, ist die Vereinsmeierei nicht weit ... Wikipedia hat
hier eine ganze nette Zusammenfassung der Vereinsmeierei aufgeführt.
Nach 10 Jahren Selbsthilfe habe ich mit wachsender Absicht, in "höhere
Regionen" vorzustoßen (nachdem einige Vereinsmitglieder mich zwei, drei
Jahre darum gebeten hatten), genau diese Tendenzen erfahren. An einem
gewissen Punkt habe ich mich für die "Freiheit" entschieden, denn die
Arbeit am Stottern ist mir wichtiger als die Mitarbeit in irgendeinem
Verein.
Netzwerke stotternder Menschen
Den einzigen Ausweg aus den oben geschilderten Problemen, ist für mich
die Schaffung unverbindlicher Netzwerke. Was die Wirtschaft und der
Freundeskreis schon längst vormacht, wird auch die SHGs und Vereine bald
"ereilen". Die Zeichen der Zeit sind eigentlich eindeutig. Das Internet
ist ein wunderbares Mittel, um Menschen mit ähnlichen Interessen
weltweit zu verbinden. Dem Stotternden kommt das zunächst Nichtmündliche
noch dazu als Erleichterung entgegen. Netzwerke agieren in kleinen Gruppen, auch zu zweit
und sind daher flexibler und auch zeitnaher. Fünf Personen unter einen
Hut zu bekommen ist meist schwieriger als zwei oder drei, was nicht
heißen soll, dass eine Netzwerk nicht auch mal 10 oder 20 Personen
zusammenbringen kann.
Die Zukunft liegt m.E.
nach nicht in häufig schwerfälligen Vereinen und SHGs, sondern in flexibleren
Netzwerken ... auch dies soll keine Ausschließlichkeit darstellen,
sondern lediglich die Vermutung einer tendenziellen Entwicklung. |